Die Zukunft der virtuellen Hauptversammlung – Referentenentwurf des BMJ

Das Bundesjustizministerium hat am 10. Februar 2022 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften veröffentlicht.

Bereits im Rahmen der COVID-19-Pandemie war die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen ohne physische Präsenz der Aktionäre am Ort der Hauptversammlung ermöglicht worden. Diese Regelungen laufen am 31. August 2022 aus. Aufgrund der positiven Erfahrungen sollen virtuelle Hauptversammlungen auch nach der Pandemie auch weiterhin ermöglicht werden. In einem neuen § 118a AktG-E wird definiert, an welche Voraussetzungen die Abhaltung einer rein virtuellen Hauptversammlung geknüpft ist. Wie schon nach der COVID-19-Gesetzgebung muss die gesamte Versammlung in Bild und Ton übertragen, die Stimmrechtsausübung und Bevollmächtigung im Wege elektronischer Kommunikation ermöglicht sowie ein Frage- und Widerspruchsrecht eingeräumt werden. Darüber hinausgehend, müssen den Aktionären bestimmte weitere Rechte eingeräumt werden:

>Das Recht, Anträge zu stellen, die nicht Gegenanträge sind, also z.B. Verfahrensanträge.

>Das Auskunftsrecht nach § 131 AktG. Anders als bisher soll die Beantwortung von gestellten Fragen also nicht mehr im Ermessen des Vorstands stehen, sondern rechtzeitig gestellte Fragen zur Tagesordnung müssen ordnungsgemäß beantwortet werden. Das Fragerecht wird auch dahingehend erweitert, dass Aktionären in der HV Nachfragen zu gestellten Fragen gestattet werden müssen.

>Das Recht, vor der Hauptversammlung Stellungnahmen im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen.

>Das Recht, in der Hauptversammlung per Videokommunikation zu sprechen (Live-Redebeitrag).

In der Praxis der letzten 2 Jahre waren bereits auf freiwilliger Basis von einigen Gesellschaften zusätzliche Mitwirkungsmöglichkeiten insbesondere durch Nachfragen, Vorab-Stellungnahmen und Live-Redebeiträge angeboten worden. Der Referentenentwurf sieht diese erprobten Elemente nun als verpflichtenden Teil der virtuellen Hauptversammlung vor. Gerade die Einspielung von Live-Redebeiträgen setzt eine entsprechend sichere technische Infrastruktur und durchdachte Prozesse voraus. Um die Bild- und Tonübertragung mit dem Aktionär zu testen, kann und sollte zur Vorbereitung einer reibungslosen Live-Zuschaltung ein vorheriges Onboarding des Aktionärs verpflichtend vorgesehen werden.

Ausgeweitet werden auch die Veröffentlichungspflichten der Gesellschaft. So muss der Bericht des Vorstands spätestens 6 Tage vor der HV zugänglich gemacht werden. Die von Aktionären gestellten Fragen und vorab übermittelte Beiträge müssen den Aktionären ebenfalls zugänglich gemacht werden, bei börsennotierten Gesellschaften über einen Internetservice für Aktionäre. Eine Möglichkeit, in der Hauptversammlung Fragen zu stellen, ist im Entwurf bisher nicht vorgesehen. Lediglich Nachfragen zu vorab gestellten und in der HV beantworteten Fragen sollen zugelassen sein. Dies stößt auf Kritik von Investoren und Schutzvereinigungen und wird im weiteren Gesetzgebungsverfahren intensiv diskutiert werden. Für die Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen benötigt die Gesellschaft eine Satzungsregelung. Die Satzung kann entweder selbst vorsehen oder den Vorstand ermächtigen vorzusehen, dass die Versammlung virtuell abgehalten wird. Für die Satzungsregelung ist also zunächst ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich. Für die Saison 2023 sieht das Gesetz eine Übergangsregelung im EGAktG-E vor: Für Hauptversammlungen, die bis einschließlich 31. August 2023 einberufen werden, kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden, dass die Versammlung als virtuelle HV abgehalten wird. Die Gesellschaften sind also nicht gezwungen, für die ab 2024 erforderliche Satzungsregelung im Jahr 2023 noch eine (eventuell letzte) Präsenzhauptversammlung abzuhalten. Umgekehrt ist die Abhaltung einer Präsenzhauptversammlung weiterhin als gesetzlicher Regelfall ohne weiteres zulässig, auch bei Bestehen einer Vorstandsermächtigung zur virtuellen HV. Der Vorstand wird also je nach Zweck und Rahmenbedingungen im Einzelfall entscheiden müssen, welche Variante für die jeweilige Hauptversammlung gewählt wird.

Bis zum 11. März 2022 haben die Länder und die Verbände Gelegenheit, zum Referentenentwurf Stellung zu nehmen.